Bestandsaufnahme zur Hochschulbildung der Stadt Hildesheim am Beispiel des Instituts für Kreatives Schreiben und mediale Kommunikation.

Die Stadt Hildesheim präsentiert sich im niedersächsischen Vergleich, aber vor allem im Vergleich zu bundesdeutschen und europäischen Universitäten, nach einem schwierigen Jahrzehnt der Reformen, als potenter Bildungsstandort. Der Betreuungsschlüssel liegt fast gleichauf mit dem US-amerikanischer* Universitäten der Ivy League und kann so seinen 9000 Studierenden* beste Unterstützung gewährleisten.

Im Zuge der Umsetzung der Bologna II Richtlinien wurde ab 2031 eine grundlegende Hochschulreform in Niedersachsen eingeleitet. Sie wurde damals auf Bundesebene durch den Kultusminister Cem Özdemir (Die Grünen) forciert und auf Landesebene unter Kultusministerin Maja Jewgenjewna Mironowa (Die Gelben) in den Jahren 2046-48 implementiert. Besonders die energischen Bemühungen im Rahmen der »Neuerungen zur Internationalisation der Deutschen* Hochschullandschaft« nach Schwedischem* Modell, haben in Niedersachsen ihre Früchte getragen. Im Folgenden soll kurz skizziert werden, inwiefern dies positive Auswirkungen auf das genannte Institut und die mit ihm verbundenen Studiengänge hatte.

Der ursprüngliche Studiengang »Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus« wurde im Jahr 1999 eigenhändig vom Literaten Hanns Ortheil aus der Taufe gehoben und war damals als sogenannter Diplomstudiengang konzipiert, einer Studienform, die noch aus preußischer Zeit stammte und 2008 in eine Frühform des uns heute bekannten Bachelor-Master-Systems aufging. Der Schwerpunkt der ersten drei Jahrzehnte des Studiengangs lag darauf das Handwerk zur totalitären Subjektivität zu lehren und zu lernen. Intersubjektive oder kollektive Ansätze spielten damals keine Rolle. Man lernte zwar zusammen in einem Raum, lernte aber nicht miteinander zu lernen. Die Journalistin* Ann-Kristin Tlusty fasst ihre Erfahrungen so zusammen:

»Wir haben jeden Tag daran gearbeitet den Genius in uns selbst zu brechen. Harmonie stand auf der Tagesordnung, wir versammelten uns in Scheunen und einer alten Burg [Schloss Marienburg, Anmerkung des Autors] und debattierten, bis uns die Sonne auf die Wiese trieb. Unsere Vorbilder waren Montaigne, Foucault, Houellbecq und Certeau, die Kunst lief gut und das Internet knackte, wenn man sich einwählen wollte. CDs waren en vogue, und wenn man terrifier sagte, verstanden die Menschen noch nicht traffic. Es war eine entschleunigte Zeit. Nur selten mussten wir zwischen größeren Städten pendeln. Und wenn, dann nur, weil uns die Muse geküsst hatte.«

Dieser paradiesische Zustand der Egomanie verflog; wenn auch schleichend. Heute existieren zwar noch Studiengänge unter dem Label »Kreatives Schreiben« in Berlin, Dortmund, Frankfurt, Fulda, Kassel, Leipzig und Augsburg. Doch im Gegensatz zu den Startjahren Anfang der 2000er Jahre liegt der Schwerpunkt heutzutage nicht mehr auf eine Quasi-Ausbildung von ProsaliteratInnen*. Eine verbesserte digitale Infrastruktur im tertiären Sektor, vereinfachte Distribution von digitaler Literatur, höhere digitale Kaufkraft, mehr Freizeit und ein expandierender und gleichzeitig diversifizierender Lesemarkt, haben dazu beigetragen, dass es viele junge Menschen nicht mehr für diese Studiengänge an die Universität zieht. Tutorials über Schreibstile, Marketing und E-Book-Programing kann man kostengünstig online erhalten. Einige der größten deutschen Verlage wie Springer, Random House oder das Verlagshaus Berlin haben außerdem selbst institutsähnliche Einrichtung gebildet, in denen teilweise bereits Jugendliche (solitär oder im Kollektiv) als potenzielle Autoren ausgebildet werden. Literarische Erfolge (ökonomisch und bei der Kritik) feiern jedoch sowohl AutorInnen*, die »Kreatives Schreiben« im universitären Kontext oder online studiert haben, als auch Personen aus fachfremden Kreisen. Im Gesamtverkauf (digital und analog) dominieren zwar die Online- / Selbstausgebildeten: 8 von 10 Bestsellern des Jahres 2049 wurden von ihnen geschrieben. Von der (digitalen und Print-) Kritik werden jedoch am stärksten und am besten die Bücher besprochen, die in den analogen Verkaufszahlen am höchsten stehen (auch wenn diese Verkaufszahlen ökonomisch weniger relevant sind). Diese Differenz bezeichnet man als sales-review-gap, der sich statistisch in den letzten 20 Jahren verdoppelt haben soll (Quelle: Axel Springer Research Foundation). Obwohl die analogen Verkäufe kontinuierlich zurückgehen und nur wenigen AutorInnen* ein Leben finanzieren, ist das Bruttoeinkommen von hauptberuflichen Schreiberlingen in den letzten Jahren nicht gefallen. Grund sind eine starke Lesungs- und Merchandizekultur, sowie Nebenverdienste von Prosa-AutorInnen* in den Bereichen Journalismus, Reklame,  Leisure Culture, Übersetzung und ein intakter Markt für Kurzfilmadaptionen. So gesehen steht es gut um den Selbsterhalt der Kultur in deutscher Sprache, das gilt auch (oder vor allem) für den universitären Kontext. Trotz einer sinkenden globalen Relevanz des Deutschen seit 1914, besteht ein stabiler Markt für Sekundärliteratur zu deutscher Literatur, die zu einem großen Teil auch in Englisch und Französisch verfasst wird. Obwohl weder die Verkaufszahlen deutschsprachiger Bücher, noch die Zahl der übersetzen Werke aus dem Deutschen in eine andere Sprache signifikant gestiegen sind, erfreuen sich die Germanistischen Institute weltweit größter Beliebtheit, deutschsprachige Literatur wird weltweit als akademisches Forschungsdesiderat geschätzt.

Wie schon angerissen, universitäre Inhalte und der literarische Markt haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert und in diesem Wandel gegenseitig beeinflusst.

In Hildesheim wurden im Zuge der Implementierung des Bologna II Paket der Bachelorstudiengang in zwei separate Studiengänge aufgeteilt: »Kreatives und poetologisches Schreiben« und »Kreativer Kulturjournalismus«.

Erstgenannte Variante wurde jedoch nach der ersten Fünf-Jahres-Periode nicht erneut akkreditiert. Vielmehr wurden relevante Inhalte extrahiert und es wurde ein gemeinsames Studienfach namens »Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus« geschaffen. In diesem Studiengang schlagen so immer noch zwei Herzen. Diese duale Ausrichtung schafft dabei einen optimalen Nährboden für spätere berufliche Praxisfelder. Teil des poetologischen Parts ist eine feste Kooperation mit der University of Lagos (Unilag) in Nigeria. Über das Department of Culture-Politics-Design (DOCPD) der Universität Hildesheim kam es zum ersten offiziellen Kontakt mit dieser Hochschule. Das DOCPD hatte sich davor in eine online-presence-only-university umgewandelt, nachdem bereits 2033 das gesamte Seminarangebot auf Englisch umgestellt worden war. Die letzte Vorlesung in deutscher* Sprache hielt der designierte Minister für Digitale Bildung Maximilian Salomon Gallo.

Die Zusammenarbeit besteht auf mehreren Ebenen. Einmal gibt es einen regelmäßigen (immer zum Sommersemester) Studierendenaustausch von Nigeria und Deutschland. Außerdem gibt es eine Übersetzungskooperation. So werden die Texte der Studierenden von ihrer Herkunftssprache jeweils ins Englische oder Deutsche übersetzt, zudem existieren vereinzelte Übersetzungsprojekte mit der Sprache Yoruba. Studierende beider Universitäten können per Livestream, Videoaufzeichnung und digitaler Lernplattform an Kursen der jeweils anderen Universität teilnehmen. So wird auch ein Austausch gefördert, egal an welchem Ort der Welt sich die Studierenden befinden. Eine ähnliche Kooperation gab es vor 2033 bereits mit der University of KwaZulu-Natal in Südafrika und dem Imperial College London. Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der letztgenannten Universität verbrachte auch der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Ramón Ortíz-Ramírez, ein Auslandssemester in Hildesheim.

Der kulturjournalistische Aspekt der Studien wird in intensiven Exkursionen betrieben. Trotz Schulung an digitaler Informationstechnik (Programing & Content-Organising) bleibt die Arbeit vor Ort (im Real Life) essenziell. So herrschen diverse Zusammenarbeiten mit einer Handvoll Betriebe der Kultur- und Kreativwirtschaft in Hildesheim, Hannover, Göttingen und Berlin. Die Studierenden begleiten die Produkte und Veranstaltungen der Institutionen und gewinnen so einen praktischen und kritischen Einblick in die Arbeit in den einzelnen Kulturregionen. Das hat auch zur Folge, dass der Campus des Fachbereichs 2, die Domäne Marienburg, trotz gestiegener Studierendenzahl, immer weniger frequentiert wird. Das entlastet die marode Infrastruktur, löst die Notwendigkeit eines Campus auf und spart so Ausgaben für die Instandhaltung von Fazilitäten ein.

Das Institut für Kreatives Schreiben und mediale Kommunikation an der Universität Hildesheim ist eine moderne Lehrstätte für das geschriebene Wort, den changierenden Text, die Information der Theorie. Ein Forschungsraum mit dem Blick nach vorne und der Tradition im Rückspiegel.