In meinem Buch sind mir sympathische Figuren nicht so wichtig. Vielleicht nenne ich sie kurzerhand und ganz unüberlegt Donald T. und Frauke P. Lebensraum für beide: Irgendwo in Sibirien. Ständig läuft K.I.Z.; viel passiert sonst nicht – wahrscheinlich geht es am Ende nicht ganz so gut aus. Und prozentual gesehen gibt es mehr Hunde als Katzen, mehr Whisky als Wein und wahrscheinlich (leider) mehr Sexismus als Sex.
Darüber zu entscheiden, wo eine Geschichte spielt, wie die dort handelnden Personen heißen (und wie deren Haustiere), welche Musik sie mögen und in welchen Beziehungen sie zueinander stehen (die Menschen…und die Haustiere) – es gab einmal eine Zeit, in der dies der jeweiligen Autorin oder dem Autor überlassen war.
Längst hat der DIY-Trend auch die Buchbranche erreicht. Das Unternehmen www.personalnovel.de bietet ein breites Sortiment von thematisch geordneten Romanhülsen an, die beliebig vom Nutzer (der Begriff „Leser“ ist hier wohl nicht mehr ausreichend) bestückt werden können. Und so besteht die Möglichkeit, neben Schriftart, Cover und Format, die Namen der Personen des Buches selbst auszuwählen, Angaben zu ihrem Aussehen zu machen, über Alter, Wohnort, Parfum-Vorlieben, die von den Protagonisten favorisierten Automarken, Musikgenres, Filme usw. zu entscheiden. Sogar Klassiker wie „Der Prozess“ oder „Oliver Twist“ stehen für die eigene Veränderung zur Verfügung.
Um das Ausmaß des eigenen inhaltlichen Eingriffs besser überblicken zu können, gibt es zu jedem Buch eine Übersicht zur Nennungshäufigkeit der einzelnen Personen und ihrer Eigenschaften. Soll so beispielsweise Frauke in der Erzählung eine größere Rolle spielen als Donald, besetzt man am besten die weibliche Hauptrolle mit ihr (258 Nennungen) und eine der Nebenrollen mit ihm (112 Nennungen).

Auf der Website kann man die Personalisierung schonmal testen: Diesmal sind Frauke und Donald in der Vergangenheit unterwegs.
Um auch wirklich den letzten Zweifel ihrer Nutzerinnen und Nutzer daran zu überwinden, dass es sich lohnt, in das Geschehen eines Romans einzugreifen, gibt es bei personalnovel unter der Überschrift „Liebesszenen“ eine zusätzliche Wahlmöglichkeit. Hier kann zwischen einer „rassigen“ und einer „lässigen“ Version unterschieden werden – folgendermaßen auf der Seite charakterisiert: „In der lässigen Variante werden die Liebesszenen wortgewandt umschrieben und Details der Fantasie des Lesers überlassen. Die rassige Version dagegen bietet eine explizitere Darstellung mit pikanten Einzelheiten.“
Das Gesamtpaket kann man sich am Ende für ca. 25€ zuschicken lassen. Ganz normale Preise im Buchhandel also. (preisliche Unterschiede zwischen „rassig“ und „lässig“ ließen sich nicht ausmachen)
„Das Original seit 2003“, wie auf der Website immer wieder verlautet wird, hält sich offenbar gut auf dem Markt. Sicher, da ist noch Einiges ausbaubar – wo bleibt beispielsweise die Möglichkeit, sich eigene Bewertungen des Romans auf den Buchrücken zu tippen?
Und, mal ehrlich, warum sollte man es heutzutage dem Ermessen einer fremden Person überlassen, ob die Figur in dem Roman, den man gerade lesen möchte, nun glücklich oder unglücklich verliebt ist; oder ob sie lieber Fahrrad oder Auto fährt? Dass Autoren keine Genies (mehr) sind, die aus dem Nichts überwältigende Erkenntnisse durch ihre Erzählungen transportieren, dürfte ja inzwischen bekannt sein.
Wie unkompliziert wäre es doch, wenn sich jede Leserin und jeder Leser einfach immer genau das zusammenstellen könnte, worauf sie oder er gerade Lust hat. Niemand müsste mehr enttäuscht nach einem Bucheinkauf feststellen, dass die eigenen Erwartungen an das jeweilige Buch und dessen Geschichte mal wieder komplett am tatsächlichen Inhalt vorbeigegangen sind. Kein Verlag müsste sich viele Gedanken um die Vermarktung der Romane machen, und wie diese dem Publikum nahe gebracht werden könnten – das Publikum selbst würde einfach alles individuell auf seine Bedürfnisse anpassen.
Auch für die Autorinnen und Autoren müsste weniger Geld ausgegeben werden. Für einen Grundstock an Buch-Vorlagen reichen schließlich einige wenige Verfassende aus. Und auch die paar verbleibenden Schreibenden wären endlich entlastet. Der auf ihnen liegende Druck, von literarischen Ergüssen erfüllte, ausgefeilte Romane zu präsentieren; sich immer wieder neue, hoffentlich eine möglichst breite Leserschaft ansprechende, Dramen zu überlegen, wäre gelöst. Ihre Arbeit bestünde lediglich darin, einzelne, gern auch substanzlose und ungefärbte Textbausteine an abhängige und unabhängige Verlage zu schicken.
Auf einzelnen Wunsch hin könnte es dann höchstens vorkommen, dass man von einer Version noch eine weitere schreiben müsste, die vielleicht etwas „rassiger“ formuliert wäre. Und dank immenser Erfolge würden sicher auch ein paar Cent pro Buch für die Autorenschaft anfallen – was könnte man sich mehr wünschen?
Sämtliche unversorgten Autorinnen und Autoren könnten sich endlich einem zielführenderen Zeitvertreib zuwenden. Zum Beispiel in die Politik gehen. Geschichten erzählen kann man da ja bekanntlich auch genug.
Währenddessen sitze ich bereits an dem zweiten Abenteuer von Frauke und Donald. Ich denke, diesmal schicke ich sie auf eine sehr sehr lange Reise zum Mond. Nur ein gutes Cover fehlt mir noch.