Fünf Wörter

von Apr 18, 2016

Alles, was man braucht

Ständig müssen wir liefern. Inhalt. Content. Wir haben einen Auftrag: 500 Wörter, 4000 Zeichen. Früher sprach man noch von Normseiten, Zeilen und Anschlägen. Nun aber gibt es eine App, die auch den Schritt von der mechanischen zur digitalen Schreibmaschine verwischt und den gewünschten Text von einem Algorithmus generieren lässt. Das geht schneller, ist – für den Auftraggeber – billiger und macht auch noch ein paar Journalisten arbeitslos. Der letzte Punkt gehört vermutlich nicht zwingend zur Geschäftsidee von Articoolo, wird aber selbstverständlich in Kauf genommen. Alles, was man braucht für einen Artikel, sind maximal fünf Wörter.

Narrative Intelligence Service

Es geht nicht um künstliche Intelligenz. Anders also als etwa bei Quill, einer Plattform des schon vor einigen Jahren mit automatisierten Sport- und Börsennachrichten bekannt gewordenen Unternehmens Narrative Science. Quill verspricht zu irgendwie erhobenen und analysierten Daten relevante Informationen zu suchen und sie in einfach verständlichen Sätzen wiederzugeben. Der Visualisierung von Big Data wird hier also eine sprachliche Repräsentation an die Seite gestellt. Die Entwickler gehen sogar so weit zu behaupten, dass die Ergebnisse nicht von Texten zu unterscheiden seien, die von Menschenhand geschrieben wären. Derzeit lassen eine Reihe von Finanzunternehmen an der Wall Street zehn- bis fünfzehnseitige Berichte von Quill verfassen. Aber auch eine Firma wie In-Q-Tel, die von der CIA finanziert wird und Start-Ups aus der IT-Branche mit Risikokapital versorgt, nutzt Quill.

Um Texte schreiben zu können, braucht Quill immer Daten, also Zahlen und Tabellen, Statistiken. Es werden Relationen erstellt, die wiederum Konzepte und Kontexte ergeben. Statt nun Tortendiagramme daraus zu generieren, werden die Daten durch Sätze, Absätze und ganze Seiten abgebildet. Unternehmen können die verwendeten Algorithmen auch auf ihre spezifischen Bedürfnisse anpassen. Das betrifft nicht nur den Wortschatz, sondern vor allem Stimmung und Wertung. Texte, die fürs Marketing genutzt werden sollen, bekommen dann eben eine positive Durchfärbung. Wie Verlage das für ihre Produkte nutzen könnten, lässt sich leicht denken.

Wie genau der Algorithmus von Quill funktioniert, verrät Narrative Science nicht. Klar ist aber, dass es weniger um kreative Schreibprozesse geht, die simuliert werden, als um Geschäfts- und Alltagsanwendungen. Wenn nun Amazon kleine Netzwerklautsprecher produziert, die mit Spracherkennung ausgestattet sind und Musikwünsche und Bestellungen entgegennehmen, könnte eine Software wie Quill etwa Instant-Bedienungsanleitungen in jeder erdenklichen Lebenslage produzieren, aber auch Buchhandelswerbung, Klappentexte für Bücher und vielleicht sogar auch Lektürehilfen für lesefaule Schüler, bzw. denkschwache Lehrer.

Der perfekte Text

Anders als Quill soll die Anwendung mit dem merkwürdigen Namen Articoolo nicht so tun, als könne sie perfekte Texte verfassen. Vielmehr bekommt man rasch einen Entwurf präsentiert, den man dann mit einer eigenen persönlichen Note versehen kann. Man gibt also in das Auswahlfeld  ein paar Stichwörter ein. Der Suchalgorithmus bietet dann ein paar Themen aus den vorhandenen Ressourcen an, die dazu passen könnten. Ob man nun etwas davon auswählt, weil es einem passender erscheint, oder eben bei den zuerst eingegebenen Begriffen bleibt: Nach ca. 30 Sekunden präsentiert Articoolo einen Artikel, der absolut unverwechselbar sein soll.

Bis man für den Artikel bezahlt hat, werden nur einige wenige Zeilen des ganzen Artikels als lesbar angezeigt. Der Rest ist unscharf. Articoolo ist bislang nur in englischer Sprache verfügbar. Und wenn man sich die lesbaren Stellen des Entwurfs ansieht, kann man schnell feststellen, dass der Artikel alles andere als perfekt ist. Wörter fehlen, es gibt Grammatikfehler oder ein Satz beginnt nicht mit einem Großbuchstaben. Wenn es sich um einen kurzen Text handelt, ist der Aufwand des Redigats vermutlich vertretbar. Bei längeren Texten könnte schnell Zweifel an Sinn und Zweck der Anwendung entstehen, weil die Überarbeitung länger dauert als wenn man das Ganze gleich von Anfang an selbst geschrieben hätte.

Zu den Quellen

Wenn man nun für den Entwurf bezahlt und den ganzen Text zu lesen bekommt, kann man ihn tatsächlich lesbar finden. Einzigartig wie versprochen ist das Ergebnis aber keinesfalls. Denn irgendwoher müssen ja auch die Quellen stammen, aus denen Articoolo seine Texte generiert. Um das zu kontrollieren sucht man den generierten Text über Google und stößt in der Regel bald auf den jeweils gekürzten oder leicht veränderten, manchmal schon Jahre alten Basistext. Dass es solche Übereinstimmungen gibt und wie stark sie ausfallen, hängt natürlich vom jeweiligen Thema ab.

In der Regel nutzt Articoolo mehr als nur eine Quelle, um neue Texte zu generieren. Je differenzierter das Thema, desto mehr Quellen werden genutzt. Interessant in jedem Fall ist, dass der Textgenerator gerade durch Umschreibungen, Kürzungen und die Kombination verschiedener Quellen Fehler produziert, wo in den Originalen keine waren. Denn mit dieser Fehleranfälligkeit kommt man dem Kern der Anwendung schon sehr nahe: Es gibt nämlich auch die Möglichkeit, Texte direkt mit der „Rewrite“-Funktion ändern zu lassen. Für den Preis darf man vermutlich auch nicht mehr erwarten, aber eigentlich wird erst umgekehrt ein Schuh daraus.

Denn ein Text, der irgendeine Form von Autorschaft voraussetzt, ob singulär oder kollaborativ, wird in der Perspektive eines Algorithmus wie er hier am Werke ist, eben zu bloßem Content“. Und dafür ist nicht der englische Ausdruck problematisch, der eben alles subsumiert – Texte, Bilder, Videos etc. -, sondern das „bloß“. Denn das setzt einen Wert voraus, der möglichst gering sein soll, sprich: nichts oder nur wenig kosten darf. Und von dem, was nichts oder wenig kostet, erwartet man auch keine besondere Qualität. Es ist ja nur „Content.“

Was ist ein Autor?

Die Entwickler der Anwendung sagen, dass es ihnen nicht darum geht, einfach alten „Content“ umzuschreiben, sondern Art und Weise zu imitieren, wie ein menschlicher Autor einen Text schreiben würde. Der, so die Annahme, ginge zuerst mal bei Google nach seinem Thema auf die Suche. Dann würde er zusammenfassen, was er im Netz findet, und daraus einen zusammenhängenden Text schreiben, der, um Plagiate zu vermeiden, das Gefundene neu formuliert. Nichts anderes würde der Algorithmus von Articoolo auch machen, nur eben schneller.

Hier könnte man nun sicher und guten Gewissens Einwände formulieren, dass richtige Autoren schon etwas gewissenhafter und eigenständiger vorgehen. Und, so wäre ein weiteres Gegenargument, nicht nur für das Schreiben im Netz, gelte schließlich auch, dass man seine Quellen ausweist, ob nun per Fußnote oder mit einem Link. Allerdings darf man auch getrost davon ausgehen, dass Articoolo auch nur wieder längst gängige Praxis der flinken Googler und Verwurster unter den Journalisten umnutzt. Haben die also eben eine App, mit der sie das noch schneller können – wen kümmert’s? Und selbstverständlich werden solche Algorithmen mittelfristig einigen dieser Journalisten den Job wegnehmen. Ich habe meine Zweifel, dass das wirklich schlimm ist. Diejenigen, die tatsächlich unverwechselbar schreiben können, wird das nur umso deutlicher hervortreten lassen. Sehr viel unangenehmer ist die Aussicht, dass durch solche Entwicklungen der monetäre Wert dessen, was sie verfassen, noch weniger wird.