Die Größe und Art der Projektgruppe, die Persönlichkeiten der Teilnehmer, das Genre, die Software, die Webseite – ein kollaboratives Schreibprojekt besteht aus vielen Faktoren. Woran liegt es also, ob das Schreiben gelingt oder scheitert?
Felix Woitkowski vom Germanistikinstitut der Universität Münster hat für seine Masterarbeit ein kollaboratives Anthologieprojekt durchgeführt und untersucht. Die Gruppe bestand aus etwa 20 Teilnehmern, Nutzern der Webseite der Edition Geschichtenweber, auf der das Projekt stattgefunden hat. Die Texte, hat Woitkowski in der Ausschreibung des Projekts festgelegt, sollten dem Genre der phantastischen Literatur zugeordnet werden können.

Das sind schon einige bedingende Faktoren: Die Teilnehmer kennen sich nicht zwingend persönlich, haben teilweise bereits Erfahrungen im kollaborativen Schreiben (im Geschichtenweber-Forum), gehen also mit Vorstellungen und Ansprüchen an das Anthologieprojekt heran. Durch das Genre Fantasy obliegen der Text und die entwickelte Welt bestimmten Regeln. Die Geschichtenweber sind ein Zusammenschluss aus Künstlern und Autoren, die kollaborative Anthologien erarbeiten und herausgeben.

„[…] Autoren als Schreibende statt als Genies und parallel dazu Texte als etwas Gemachtes […] verstehen.“ (Felix Woitkowski, Kollaboratives und literarisches Schreiben im Internet)

Woitkowskis Projekt verläuft in vier Phasen: Orientierung, Planung, Textproduktion und Überarbeitung. In jeder Phase steht die Organisation der Arbeit an erster Stelle, zumindest in Woitkowskis vorab formuliertem Ablaufplan. Ist das sinnvoll? Behindert das die Entwicklung des Projekts nicht eher? Woitkowski legt keine Hierarchien fest, das machen die Teilnehmer teilweise im Verlauf des Projektes, zum Beispiel durch die Bestimmung eines Koordinators einer Phase. Funktioniert kollaboratives Schreiben besser im Kollektiv oder in einer klar strukturierten und hierarchisierten Gruppe? Hierarchie muss nicht automatisch bedeuten, dass nur eine oder wenige Personen Entscheidungsrecht haben und die anderen lediglich Helferlein darstellen; Hierarchie kann auch der Ordnung und Organisation eines Gruppenprozesses dienen.
Ein weiterer Punkt, den auch Woitkowski anspricht, ist die Häufigkeit, mit der die Teilnehmer sich in das Projekt einbringen. Wenn von Anfang an klar ist, wer mehr Verantwortung hat und wer weniger, ist vielleicht auch einfacher abzusehen und so besser einzuplanen, wieviel Arbeitsaufwand von wem in das Projekt gesteckt wird.
Und funktioniert das gemeinsame Arbeiten in der Gruppe besser, wenn die Teilnehmer sich kennen und auch außerhalb des Internets miteinander kommunizieren können?

In der Ausschreibung für Woitkowskis Anthologieprojekt steht, dass die Texte, die entstehen werden, miteinander vernetzt sein sollen. Diese Bedingung führt dazu, dass enger miteinander kollaboriert werden muss, als wenn die Texte lediglich gemeinsam besprochen und lektoriert würden: Eine Welt muss entstehen, Charaktere gemeinsam erarbeitet, eine Handlungslinie muss festgelegt werden. Diese Arbeitsschritte erfordern viel Geduld und Diskussionsvermögen der Teilnehmer, und einige scheinen mit dem Ergebnis des Festlegungsprozesses nicht zufrieden zu sein. Doch das ist ein großer Bestandteil des kollaborativen Schreibens: man muss Kompromisse eingehen. Aber die Frage, die sich mir stellt, ist: Können dann noch gute Texte entstehen, hinter denen jede Autorin und jeder Autor steht?

Woitkowski betont an mehreren Stellen, dass der „Kern des Schreibens“, das Verfassen der Texte, solitär und damit nicht kollaborativ angegangen wurde.
Aber müssen die Texte in einem kollaborativen Schreibprozess denn gemeinsam Wort für Wort geschrieben werden? Ist es nicht sinnvoller, das Grundgerüst gemeinsam zu errichten, arbeitsteilig-solitär die einzelnen Text-Bauteile anzufertigen und sie dann – wieder gemeinsam – zusammenzusetzen? Statt in ewigen Diskussionen zu versickern, würde die Kreativität jedes Einzelnen in einem gemeinsamen Bearbeitungsprozess zur Entfaltung kommen und sich zu etwas Größerem verbinden.