Auf Litfutur haben wir bereits an mehreren Stellen über Formen des gemeinsamen Lesens und Schreibens nachgedacht. In einer Projektgruppe haben wir diese Gedanken weiter verfolgt und haben sie ganz konkret auf die Studienstruktur an der Universität Hildesheim bezogen.
In den Bachelor-Studiengängen Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus sowie Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis studiert man ein Modul, das „Theorie und Praxis der Literaturvermittlung“ heißt. Hier war bisher vorgesehen, sich in zwei je vierstündigen, projektorientierten Seminaren mit literaturvermittelnden und kulturjournalistischen Formen auseinanderzusetzen. Dieses Modul wird momentan umstrukturiert und in vier kleinere Bereiche aufgeteilt. Einer davon ist jetzt die „projektorientierte Auseinandersetzung mit der Theorie und Praxis von Formen kollaborativen und kollektiven Schreibens und Lesens“.
Kollaboratives Schreiben und Lesen war bis dato in keinem Modul fest in der Studienordnung der Schreibschule Hildesheim verankert.
Warum? Eigentlich ist die schreibpraktische Kollaboration in Hildesheim alltäglich: In Textwerkstätten, Lektoraten und Mentoraten wird in der Gruppe oder zu zweit konkret an Texten der Studierenden gearbeitet. Auch außerhalb der Universität organisieren sich die Studierenden, um über ihr Schreiben zu sprechen und es durch die Rückmeldung anderer weiterzuentwickeln.
Uns erschien es als der logische nächste Schritt, diese Weise des kollaborativen Schreibens weiterzutreiben und als Teil des Studiums festzulegen. Wir wollen in Seminaren ausprobieren, wie es ist, mit mehreren an einem Gesamtwerk zu arbeiten. Statt nur Anthologien mit vielen einzelnen Texten einzelner Studierender wollen wir auch kohärent funktionierende Patchwork-Monografien produzieren. Das Bild des genialen Autors oder der genialen Autorin, das schon lange eher outdated ist und durch die Etablierung von Schreibschulen auch in Deutschland immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert, löst sich gänzlich auf.
Die Gemeinschaft zählt.
Schluss mit egozentrischem Elfenbeinturm und einsamem Studierzimmerchen, auch Schreiber*innen arbeiten zusammen!
Natürlich ist das konkrete Schreiben eine private, solitäre und sensible Arbeit. Aber die Entwicklung von Ideen, Plots, Handlungssträngen, die Überarbeitung und Verbesserung von Texten, das dramaturgische Durchdenken von Geschichten funktioniert auch in der Gruppe, wenn nicht sogar besser.
Uns ist bewusst, dass im kollaborativen und gerade im kollektiven Schreiben andere Arten von Text entstehen. Diese Form des Schreibens kommt gerade im Bereich Fantasy, Fan Fiction und Unterhaltungsliteratur vor. Aber wir sind uns sicher: Das geht auch anders. Auch Schreibschulprosa kann gemeinsam verfasst werden. Texte, die in kollaborativen und kollektiven Schreibprozessen entstehen, sind von einer anderen, aber nicht (per se) von einer geringeren Qualität.
Gerade für Schreibstudent*innen, die noch im künstlerischen Findungsprozess stecken, kann die Erfahrung einer intensiven Kooperation mit ihren Kommiliton*innen von großem Wert sein. Durch die Behauptung in der Gruppe, durch den starken Diskurs und ständige Rückmeldung müssen die einzelnen Autor*innen über ihr Schreiben nachdenken und Position beziehen.
Aber wir wollen nicht nur kollaboratives und kollektives Schreiben ausprobieren, wir wollen uns auch weiterhin forschend mit dem Thema auseinandersetzen. Schließlich gibt es schon lange haufenweise kollaborative literarische Formen: Briefwechsel, Drehbücher von Serien und Fernsehsendungen, Konversationen in sozialen Netzwerken.
Kollaboratives und kollektives Schreiben und Lesen sind keine neuen Arbeitsformen. Sie werden aufgrund der digitalen Möglichkeiten lediglich einfacher und funktionaler. Sie sind Teil der Produktion von Literatur, deshalb sollten sie auch an der Schreibschule Hildesheim untersucht und praktiziert werden.